Am 29. August 2020 öffnete das Sigmund Freud Museum in der Berggasse 19 nach 18 Monaten Renovierung endlich wieder seine Türen. Die Besuchenden erwartet nun ein viel größeres Museum mit einem neuen architektonischen und vermittlerischen Konzept. Forum Kultur Vermittlung hat die umgebauten Museumsräume im Rahmen einer Überblickführung erkundet.
Keine Rekonstruktionen
Das Sigmund Freud Museum in der Berggasse 19 umfasst die Privatwohnung und die Praxis von Sigmund Freud, dem legendären Gründervaters der Psychoanalyse. Fast ein halbes Jahrhundert – von 1891 bis 1938 – hat er in dem Mietshaus gewohnt und gearbeitet. Erstmals sind nun auch alle privaten Räume zugänglich.
Wer im Museum jedoch rekonstruierte Räume erwartet, der irrt. Das Museum rekonstruiert und vermittelt das Leben und Schaffen von Freud anhand einer Vielzahl an Objekten, Fotos, Schriften, Videos, Audiobeiträgen sowie künstlerischen Interventionen.
Das Gründerzeit wurde im Zuge der Sanierung und des Umbaus (wieder) umgestaltet, wobei die Veränderungen am Haus in den Räumen deutlich gemacht werden. So wurde z.B. ein neues Stiegenhaus eingezogen, um die Ebenen intern zu verbinden (wofür die Küche daran glauben musste). Das neue Stiegenhaus vermittelt nun auch die Geschichte das Hauses und das Schicksal der Menschen, die dort wohnten, während dem NS-Terror.
Die ursprüngliche Funktion der Räume wird an deren Wänden kommuniziert: Schlafzimmer, Bad, Ankleidezimmer etc. Einen Einblick in die Raumsituation damals vermitteln Fotos von Edmund Engelmann. Engelmann war ein junger Fotograf, der 1938, kurz bevor die Familie Freud ins Exil nach London ging, die Arbeit- und Wohnräume fotografierte. Freud persönlich kannte Engelmann nicht. Um die fotografische Dokumentation hatte ihn der Pädagoge und Psychoanalytiker August Aichhorn gebeten. Über Umwege sind die Fotos dann bei Anna Freud in London aufgetaucht.
Offene Architektur
Die Museumsräume sind hell und offen gestaltet, mit großen Vitrinen, die zentrale Objekte aus Freuds Leben darstellen. Ein angenehmes Detail der Vitrinen sind hölzerne Abstützen für die Ellbogen, die das intensive Betrachten einzelner Details deutlich komfortabler werden lassen. Fotos, Grundrisspläne und Hinweise auf die damalige Raum- und Deckengestaltung schaffen die Verbindung zur Lebensrealität Freuds.
Individueller Rundgang
Der Rundgang durch das Museum kann individuell gestaltet werden, es ist keine Gehrichtung vorgesehen. Wer sich alle Exponate genau ansehen möchte, sollte sich laut unser Kulturvermittlerin bei der Führung ca. drei Stunden Zeit dafür nehmen. Die einstündige Überblicksführung kann nur einen groben Überblick geben und zum selbstständigen Weitererkunden anregen.
Das Wartezimmer ist der einzige Raum, der noch original möbliert ist. Die meisten Möbel hat Freud bei seiner Emigration nach London mitgenommen. Ermöglicht hat die Emigration u.a. Marie Bonaparte, die sich sehr resolut für ihn einsetze und auch die erforderliche Reichsfluchtsteuer für die Familie bezahlte. Die Möbel sind dann schließlich von Anna Freud aus London wieder nach Wien gekommen.
Sehr schön umgesetzt ist auch der Behandlungsraum – das Zimmer, das die meisten Besuchenden wahrscheinlich am meisten interessiert. Ein Foto zeigt den damaligen Zustand. An der Wand ist der Platz des Teppichs sichtbar gemacht, der hinter dem Sofa an der Wand hänge. Farbfelder zeigen den intensiven Rotton der damaligen Wände.
Fazit
Die kurzweilige Führung vermittelt neben einem Eindruck in das Leben und Arbeiten Sigmund Freuds auch interessante Details und Hintergrundinformation zu den bekanntesten Anekdoten zu seinem Leben (etwa die Beziehung zur Schwerster seiner Frau), seiner unheilbaren Zigarrensucht, dem Austausch mit Albert Einstein oder den Treffen der berühmten Mittwochsgesellschaft. Details, die bei einem Museumsbesuch ohne Vermittlung sicher nicht aufgekommen wären. Ein sehr empfehlenswerter Rundgang durch Leben und Schaffen des Gründervaters der Psychoanalyse.
Links
- Freud Museum London
- Kurier (19.07.2020): Sigmund Freud Museum ab Ende August wieder geöffnet
- Stephan Hilpold, Stefan: Sigmund-Freud-Museum neu eröffnet: Guckloch auf den Originalschauplatz. In: DerStandard, 28.08.2020
- Wien Info: Wiedereröffnung Sigmund Freud Museum
- Wiener Psychoanalytische Vereinigung: Migration Sigmund Freud