Partizipation

Ein Versuch der Annäherung und Eingrenzung zentraler Begriffe in der Kulturvermittlung
Teil 4

Als Nachfolger von Interaktion wurde Partizipation zum „Schlagwort unserer Zeit“ (Voss 2014: 9). Begriffe wie collaborative turn, participation paradigm und participatory turn sind zunehmend auch im deutschsprachigen Raum zu hören – in den USA, GB und den NL sind partizipative Verfahren bereits zum Standard geworden (Piontek 2017: 14).

Auffällig ist, dass aktuelle Debatten um Partizipation zwei Extrempositionen zeigen (ibid.): Auf der einen Seite stehen jene, die Partizipation als Allheilmittel zur Neuaufstellung und sozialen Verankerung von traditionellen Kulturinstitutionen sehen. Auf der anderen Seite finden sich Kritiker_innen, die Partizipation als Einbruch institutioneller Standards und Aufgaben der institutionellen Autorität betrachten. Beide haben ihre Berechtigung und zeigen, wie notwendig es ist, sich dem Thema Partizipation zu stellen.

Definitionsversuche

Partizipation ist schwer greifbar, da das Begriffsfeld verschieden breit ausgelegt wird. Manche meinen damit schon die bloße Anteilnahme bzw. passive Rezeption von Kulturangeboten (= passive Partizipation) (Piontek 2017: 15). Die „kulturelle Teilhabe“ in diesem Sinne ist im Zugang aller Bevölkerungsgruppen am kulturellen Leben einer Gesellschaft gesetzlich begründet (Vereinte Nationen 1948: Art. 27., §1). Diese Auffassung von Partizipation ist jedoch zu eng. Denn ein wesentliches Element fehlt: die aktive Beteiligung bzw. Mitarbeit von Menschen aus der Gesellschaft an der Kreation von kulturellen Inhalten einer Institution.

Im Vermittlungskontext bezieht sich Partizipation auf die direkte und aktive Einbringung der Besucher_innen bzw. die Berücksichtigung ihrer Meinungen, Ideen und Inhalte für das Handeln und Produzieren einer Institution. Im „Extremfall“ ist die Kulturinstitution nur noch der Initiator der Kommunikationsprozesse und/oder stellt eine (physische oder virtuelle) Plattform für Projekte zur Verfügung (Fiedler/Harrer 2017).

Voraussetzungen

Partizipation baut auf Dialog auf. Eine wichtige Basis ist deshalb die Öffnung der Kommunikationsstrukturen – onsite und online – um vielfältige Einstiegspunkte für (potentielle) Partizipient_innen zu ermöglichen. Dialog ist auch deshalb so essentiell, denn partizipative Strukturen sind auf einen Prozess ausgelegt – es steht weniger das Ergebnis im Vordergrund als der gemeinsame Weg dorthin. Zentral für das Gelingen partizipativer Prozesse sind zudem ein respektvolles Verhalten gegenüber den Partizipient_innen und ihren Beiträgen sowie eine transparente und glaubwürdige Kommunikation. So kann langfristig Vertrauen bei den Kommunikationspartner_innen aufgebaut werden, welches für jedwede Partizipationsprozesse notwendig ist (Fiedler/Harrer 2017).

Formen von Partizipation

Es gibt verschiedene Modelle, die sich mit Partizipation im Kulturbereich auseinandersetzten. Ein bekanntes ist das Stufenmodell von Nina Simon (Simon 2010; siehe auch Piontek 2017: 179-182). Vorausgeschickt sei, dass die Stufen keine Wertigkeiten wiedergeben. Sie beziehen sich auf das Ausmaß der Entscheidungsgewalt und den Aufwand für die Institution.

  • Beiträge – contributory participation

Teilnehmer_innen können einen kleinen Beitrag einbringen: sei es in Form von Objekten, Aktionen oder Ideen. Die Kontrolle über Projekt und Ablauf liegt ganz bei der Institution. Gängige Beispiele sind Feedbackstationen in Ausstellungen, wo Besucher_innen eine Rückmeldung bzw. Kommentare zu Objekten etc. abgeben können. Der Aufwand für die Beteiligten ist eher gering.

  • Mitarbeit – collaborative participation

Besucher_innen werden als aktive Partner_innen in ein Projekt einbezogen. Die Entwicklung und Kontrolle obliegt jedoch zur Gänze der Institution. Der Aufwand steigt für beide. Zwei Projektformen werden unterschieden:

  • Beratende Projekte, in denen Institutionen vorab die Expertise von Communities suchen und sich bei der Projektentwicklung beraten lassen.
  • Gemeinsam entwickelte Projekte, bei denen externe Individuen an der Umsetzung einer Idee oder eines Programmes zur Gänze beteiligt sind.

Ein aktuelles Beispiel stammt aus dem Wien Museum: In der Ausstellung Geteilte Geschichte. Viyana – Beč – Wien (5. Oktober 2017 bis 11. Februar 2018) waren persönliche Erlebnisse und Objekte von Menschen zu sehen, die im Zuge des Projektes Migration Sammeln 2015/16 für das Wien Museum zusammengetragen wurden. Als Teil des Rahmenprogramms erzählten Betroffene, begleitet von Mitarbeiter_innen des Museums, ihre persönliche Migrationsgeschichte.

  • Entwicklung & Realisierung – co-creative participation

Community Mitglieder arbeiten mit Mitarbeiter_innen der Institution zusammen. Zentral ist, dass die Projektziele und der Ablauf gemeinsam entwickelt werden. Das Glasgow Open Museum ist hierfür ein Beispiel. Besucher_innen entwickelten gemeinsam mit den Museumsmitarbeiter_innen Exponate und Programme, die auf den Interessen der Community Mitglieder und der Sammlung des Hauses aufbauten. So wurden z.B. Museumsboxen gestaltet, um Menschen zu erreichen, die das physische Museum nicht betreten können (The Incluseum, 2015).

In Seattle hat das Frye Museum in 2014 eine gesamte Ausstellung mittels Publikums-Voting kuratiert: Social Medium. Menschen konnten zudem eigene Beiträge für die Audiotour einsenden und Social Media Kommentare wurden live in der Ausstellung auf einem Monitor eingespielt (#socialmedium).

www.frymuseum.org/soccialmedium, Screenshot, 4. Februar 2018Frye_1
  • Gastgeber – hosting

Die Institution stellt externen Communities bzw. Gruppen ihre Ausstellungsräumlichkeiten zur Verfügung. Die Kontrolle obliegt nun ganz den Nutzer_innen, die Institution hat wenig bzw. keine Gestaltungsmacht. Inwieweit diese Extremform noch der Definition von aktiver Partizipation entspricht, ist mit Recht diskutierbar.

Online Partizipation

Partizipation findet einerseits innerhalb der physischen Institutionsmauern in partizipativen Projekten und Ausstellungen statt. Andererseits wird Partizipation immer mehr in den digitalen Raum verlegt. Die o.g. Stufen der Partizipation von Nina Simon können alle sowohl im realen als auch im virtuellen Raum realisiert werden (>> #socialmedium).

Der Einsatz neuer Kommunikationstechnologien ermöglicht einem breiten Publikum den schnellen und unkomplizierten Zugang zu partizipativen Strukturen. Social Web-Plattformen erlauben einerseits, dass Nutzer_innen selbst Inhalte verfassen und einbringen können (User-Generated-Content). Andererseits können Individuen Beiträge der Institutionen ergänzen, überarbeiten und kommentieren (Grotrian 2014: 129). Dadurch werden neue Wege der Teilhabe und des Austausches geschaffen und eine Transformierung der Lernprozesse wird eingeleitet: Nicht mehr allein die Institution als Experte steht im Vordergrund, sondern das Wissen und die Erfahrungen der Besucher_innen werden als gleichwertig eingebunden.

Crowdsourcing

In Zusammenhang mit Online-Partizipation muss auf den Begriff Crowdsourcing verwiesen werden. Er bezeichnet die Einbeziehung von Besucher_innen in die Wissensproduktion und den Wissensdiskurs. Der Begriff wurde von Jeff Howe eingeführt. Er definiert ihn als „Auslagerung einer traditionell von einem bestimmten Beauftragten (in der Regel einem Arbeitnehmer) erbrachten Tätigkeit auf eine undefinierte, meistens größere Gruppe von Personen mittels eines offenen Aufrufs.“ (Howe 2009 zit. nach: Meijer-van Mensch 2012: 92). Crowdsourcing hat durch das Internet, v.a. das Web 2.0, große Bedeutung erhalten, denn es ermöglicht allen Menschen Inhalte kollaborativ zu kreieren bzw. zu sammeln.

Potential von Online-Partizipation

Institutionen können im Online-Bereich bewusst Individuen und Communities in ihre Projekte einbinden, die sie physisch nicht erreichen können. Es ist auch möglich, Menschen anzusprechen, die nicht zum Kernpublikum zählen bzw. Kulturinstitutionen als elitär und autoritär betrachten. Wenn ein erfolgreicher partizipativer Prozess in Gang gesetzt wird, können sich die Institutionen bei diesen Kommunikationspartner_innen als relevanter, vielfältiger und zugänglicher (virtueller) Community-Ort positionieren (Fiedler/Harrer 2017).

Herausforderungen

Vor allem traditionelle Kunst- und Kulturinstitutionen finden es manchmal noch schwer, ihre vorherrschende Rolle als fachliche Expert_innen zu ergänzen und neue Formen des Austausches zuzulassen (Grotrian 2014). Besonders Museen fürchten den Wandel ihrer kulturellen Autorität: Das Museum ist traditionell ein Informationsort, an dem Wissen gesammelt und mittels Ausstellungen, Publikationen, Sonderprogrammen u.v.m. an eine definierte Zielgruppe vermittelt wird (Russo et al. 2008). Es besteht vielfach die Angst, dass die Einbeziehung von Besucher_innen zu unliebsamen Ergebnissen führen kann, denn die Teilnahme und die Form der eingebrachten Inhalte ist schwer kontrollierbar. Dieser Befürchtung kann nur mit wechselseitigem Vertrauen entgegengearbeitet werden, das durch nachhaltigen Dialog und Konsensbildung gestützt wird (Kreps 2014).

Chancen

Partizipation kann Kulturinstitutionen dabei unterstützen, ihren inhaltlichen Fokus hin zu den Menschen in der Gesellschaft zu richten (Russo 2011) und damit langfristig ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Durch partizipative Kommunikationsmodelle können Museen & Co. einerseits ihre Rolle als öffentliche Foren stärken und eine Umgebung schaffen, in der eine aktive Auseinandersetzung mit großen Themen der Gesellschaft stattfindet (Belting 2001: 34).

Partizipative Projekte können zudem Inklusion fördern, Fertigkeiten, Werte und ethische Grundlagen vermitteln und ein gutes Zusammenleben innerhalb der Gesellschaft stützen. Durch die Einbeziehung und bewusste Repräsentation von vielfältigen Communities in den Sammlungen und Programmen kann eine Institution bei Teilnehmer_innen und Besucher_innen persönliche Relevanz aufbauen und damit letztendlich eine gesellschaftliche Relevanzbekundung erhalten. (Fiedler/Harrer 2017)

Literatur & Links

  • Belting, Hans (2001): Das Museum als Medium. In: Hinz, Hans-Martin (2001) (Hg.): Das Museum als global Village. Versuche einer Standortbestimmung am Beginn des 21. Jahrhunderts. Lang, Frankfurt a.M., S. 25-37.
  • Fiedler, Isabell / Harrer, Olivia (2017): Das kommunikative Museum. Dissertation (Universität Wien / Fakultät für Sozialwissenschaften).
  • Frye Museum, #SocialMedium. http://fryemuseum.org/social
  • Grotrian, Etta (2014): Erfolgsfaktor Benutzerfreundlichkeit – Medieneinsatz im Museum. In: Hausmann, Andrea / Fenzel, Linda (Hg.) (2014): Kunstvermittlung 2.0: Neue Medien und ihre Potenziale. Wiesbaden: Springer Verlag, S. 123-131.
  • The Incluseum (2015): The Open Museum in Glasgow, Scotland. Blogbeitrag vom 16.11.2015. https://incluseum.com/2015/11/16/open-museum-glasgow-scotland, aufgerufen am 16.1.2018.
  • Kreps, Christiana (2014): Participatory Approaches to Museum Development. http://museumstudies.si.edu/kreps.htm, aufgerufen am 15.5.2014.
  • Meijer-van Mensch, Léotine (2012): Von Zielgruppen zu Communities. In: Gesser, Susanne (Hg.) (2012): Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen. Bielefeld: transcript Verlag, S. 86-94.
  • Piontek, Anja (2017): Museum und Partizipation. Theorie und Praxis kooperativer Ausstellungsprojeke. Bielefeld, Trancript Verlag.
  • Russo, Angelina (2011): Transformations in Cultural Communication: Social Media, Cultural Exchange, and Creative Connections. In: Curator: The Museum Journal, Vol. 54(3), July 2011, S. 327-346.
  • Russo et al. (2008): Participatory Communication with Social Media. In: Curator: The Museum Journal, Vol. 51(1), January 2008, S. 21-31.
  • Simon, Nina (2010): The Participatory Museum. Santa Cruz/ California: MUSEUM 2.0.
  • Vereinte Nationen (1948) Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. www.ohchr.org/EN/UDHR/Documents/UDHR_Translations/ger.pdf, aufgerufen am 10.10.2017.
  • Voss, Kathrin (2014): Internet und Partizipation – Einleitung. In: Voss, Kathrin (Hg.) (2014): Internet und Partizipation: Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet. Wiesbaden: Springer Verlag, S. 9-24.
  • Wien Museum. wienmuseum.at/de/aktuelle-ausstellungen/ansicht/geteilte-geschichte-viyana-bec-wien.html

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